Kindeswohl und Kindeswille in der Praxis der Jugendämter und Gerichte

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Heinz
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Kindeswohl und Kindeswille in der Praxis der Jugendämter und Gerichte

von Heinz am 22.02.2009 22:35

Kindeswohl und Kindeswille in der Praxis der Jugendämter und Gerichte

Hans Leitner, Diplom – Pädagoge von der Beratungsgesellschaft START, stellte heraus, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Jugendämtern und Gerichten wegen der unterschiedlichen Rollen und des unterschiedlichen Selbstverständnisses zunächst schwierig erscheint, andererseits aber gelingen kann, wenn die eigenen Aufträge klar sind, das professionelle Selbstverständnis der jeweils anderen Seite anerkannt wird und die „Machtverhältnisse“ eher als Verantwortung und Kompetenzverteilung verstanden, ausgestaltet und erlebt werden.

Das Thema meines Vortages als Vorgabe der Veranstalter zielt gleichermaßen auf Jugendämter und Gerichte ab und macht damit, wenn vielleicht auch nicht vordergründig beabsichtigt einen Wunsch deutlich: Erwachsene seid euch im Interesse der Kinder einig. So berechtigt dieser Wunsch auch ist haben wir es mit Blick auf Jugendämter und Gerichte mit zwei unterschiedlichen Systemen zu tun, denen auch per Gesetz zwei unterschiedliche Aufträge bzw. Funktionen zugeschrieben sind, auch wenn eine Zusammenarbeit grundsätzlich angezeigt ist. Lassen Sie mich aus diesem „Tatbestand“ heraus einen kritischen Blick auf zwei Bereiche werfen, in deren Zusammenspiel Kindeswohl und Kindeswille nicht immer leicht auszubalancieren sind. Es geht hier also weniger um das Subjekt der Begierde, sondern eher um das „Schlachtfeld“.


Kindeswohl und Kindeswille – zwei zentrale Kategorien in der Jugendhilfe

Doch zunächst zu meinem Verständnis zu Kindeswohl und Kindeswille aus der Perspektive meiner Profession; der Jugendhilfe.

Zunächst bleibt ganz pragmatisch festzustellen, dass die Begriffe Kindeswohl und Kindeswille als solche im 1990 eingeführten SGB VIII, im Kinder- und Jugendhilfegesetz so nicht verfasst sind.

Bezogen auf das Wohl des Kindes wird dieses jedoch im SGB VIII in mehreren Kontexten direkt bestimmt, insbesondere als Handlungsgrundsatz bei der Ausgestaltung sozial- und ordnungspolitischer Aufgaben sowie als Auftrag bei der Ausführung von Leistungen des Gesetzes, so im:
§ 1 – Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe,
§ 4 – Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe,
§ 17 – Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung,
§ 18 – Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge,
§ 20 – Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen,
§ 22 – Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen,
§ 23 – Tagespflege
§ 27 – Hilfen zur Erziehung,
§ 37 – Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie,
§ 38 – Vermittlung bei der Ausübung der Personensorge,
§ 42 – Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen,
§ 44 – Pflegeerlaubnis,
§ 45 – Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung,
§ 46 – Örtliche Prüfung,
§ 50 – Mitwirkung in Verfahren vor dem Vormundschafts- und Familiengerichten,
§ 51 – Beratung und Belehrung in Verfahren zur Annahme als Kind,
§ 65 – Besonderer Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe,
§ 87c – Örtliche Zuständigkeit für die Beistandschaft, die Amtspflegschaft, die Amtsvormundschaft und die Auskunft nach § 58a

Damit wird das Wohl des Kindes als inhaltlicher und sozialrechtlicher Begriff zur zentralen Kategorie des SGB VIII.

Bezogen auf den Willen des Kindes gibt es im SGB VIII keine direkten Bezüge. Dies ist verständlicher Weise dadurch zu erklären, dass sich die Durchsetzung des Willens eines Kindes aus rechtlicher Perspektive über die Personensorge realisiert und deshalb in diesem Kontext unmittelbar Eltern bzw. andere mit der Personensorge beauftragte Personen angesprochen sind. Und dennoch sind im SGB VIII auch direkte Bezüge zwischen dem Willen des Kindes und der eigenständigen Durchsetzung bestimmt. Hier sind die gegeben Rechtsbezüge allerdings „zu übersetzen“, so z.B. mit Blick auf:

§ 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe: in dem Sinne, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat.

§ 8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen: in dem Sinne, dass Kinder und Jugendliche das Recht haben, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden.

§ 9 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen: in dem Sinne, dass bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben des SGB VIII die wachsenden Fähigkeiten und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen ... zu berücksichtigen sind.

§ 11 Jugendarbeit: in dem Sinne, dass Angebote der Jugendarbeit an den Interessen von den jungen Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen.

§ 42 Inobhutnahme: in dem Sinne, dass das Jugendamt verpflichtet ist, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet.

§ 80 Jugendhilfeplanung: in dem Sinne, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen ... zu ermitteln haben.

Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass sich der Begriff des Kindeswillen im SGB VIII u.a. über den Bezug auf die Rechte, Interessen, Wünsche, Bitten, Fähigkeiten und Bedürfnisse von jungen Menschen erschließt.

An dieser Stelle ein kleiner erklärender Ausflug in Richtung des sicher nicht ganz unumstrittenen Modells der Maslowsche Bedürfnispyramide, das ich als Denkmodell heranziehen möchte.
Maslow konstruiert eine Bedürfnispyramide ausgehende von den:
· Grundbedürfnissen nach Wasser, Luft, Nahrung, Unterkunft und Schlaf.
Darauf aufbauend ordnet er in einer Rangfolge weitere menschliche Bedürfnisse zu, die:
· Sicherheitsbedürfnisse im Sinne materieller, beruflicher und Lebenssicherheit,
· sozialen Bedürfnisse in Form von Liebe, Freundschaft und Gruppenzugehörigkeit,
· Ich-Bedürfnisse als Annerkennung, Geltung und Selbstachtung sowie
· Selbstverwirklichungsbedürfnisse, die in der Individualität, Güte, Gerechtigkeit und Selbstlosigkeit ihren Ausdruck finden.

Dabei geht er davon aus, dass diese Bedürfnisse grundsätzlich in der genannten Rangfolge zu befriedigen sind, um der jeweils nächsten Stufe vordergründig persönliche Bedeutung beizumessen zu können.

Bezogen auf das Thema Kindeswille bedeutet dies, dass die Bedürfnisstruktur eines Kindes wesentlich durch dessen persönliche Lebensumstände und von der aktuellen Konstitution des Kindes mit diesen umzugehen geprägt ist. Kindeswohl bedeutet demnach immer auch die Befriedigung von individuellen Bedürfnissen bzw. die Realisierung des Willens. Um eine Kind, und darauf möchte ich letztlich hinaus, in Bezug auf die Bewertung seines Willens bzw. seiner Bedürfnislage beurteilen und abholen zu können, habe ich mich aktiv mit der Frage seiner derzeitigen Bedürfnisbefriedigung auseinanderzusetzen. Hier kann das Moslowsche Bedürfnismodell u.a. hilfreich sein sich dem Willen eines Kindes anzunähern und es dort abzuholen, wo es sich derzeit befindet.

Das Spannungsfeld von Kindeswohl und Kindeswille

Eine ernsthafte Diskussion über den Bezug von Kindeswohl und Kindeswille fand zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts seine praktische Ausprägung in Debatte um den „Anwalt des Kindes“ , die aus der Perspektive der Verbesserung der rechtlichen Vertretung von Minderjährigen geführt wurde. Dabei wurde davon ausgegangen, dass bei gerichtlicher Entscheidung neben dem Aspekt des Kindeswohls auch der Willen der jungen Menschen Berücksichtigung finden sollte, um die Tragfähigkeit gerichtlicher Entscheidungen für das folgende Alltagsleben zu erhöhen. Diesbezüglich stand hier der Umstand im Mittelpunkt der Überlegung, dass Kindeswohl und Kindeswille nicht unbedingt im Einklang miteinander stehen müssen. So ging u.a. Salgo davon aus, dass im Rahmen einer dualen Vertretung das Dilemma zwischen Kindeswohl und Kindeswille zu mildern sei, in dem Sinne, dass das Gericht durch die getrennte Stellungnahme zum Kindeswohl (durch das Jugendamt) und zum Kindeswille (durch einen Beistand) ein umfassenderes Gesamtbild als Grundlage für eine „balancierte“ Entscheidung erhält.
In diesem Sinne sei ausdrücklich festgehalten, dass diese Debatte in Anerkennung eines wesentlichen Umstandes geführt wurde und auch weiterhin geführt werden muss: Kindeswohl und Kindeswille sind zwei voneinander unabhängige Kategorien, die im Einzelfall in Konflikt geraten, sich konträr gegenüberstehen können und in der Regel auch nicht aufzulösen sind.

Trennungs- und Scheidungssituationen geben hierfür die prägnantesten Beispiele. Wenn Erwachsene sich zur Trennung entscheiden hat dies zur Konsequenz, dass diese Entscheidung insbesondere aus einer konfliktträchtigen Partnerschaft heraus auch auf deren Kinder diffus wirkt.

Aus der Perspektive des Kindeswohls scheint eine klare und schnelle Entscheidung zur Personensorge bzw. zum Aufenthalt des Kindes verständlich. Häufig steht diese jedoch nicht im Einklang mit dem Willen des Kindes selbst, beide Elternteile auch weiterhin in seiner unmittelbaren Umgebung zu wissen.
Eine getrennte „Bestandsaufnahme“ zur Frage des Kindeswohls – Welche ist die vermeintlich günstigere Entscheidung zur Personensorge? – bzw. zum Willen des Kindes – Welches ist die durch das Kind gewünschte Situation? – hat sich als ebenso hilfreich erwiesen, wie eine entsprechende Vertretung und Begleitung von Kindern und deren Eltern vor, während und nach der familiengerichtlichen Entscheidung. Dies kann, wie bereits gesagt, den sich darüber abgebildeten Konflikt nicht verhindern aber begleitend mildern und insbesondere Kindern helfen, Kindeswohl und Kindeswille in Einklang zu bringen.

Selbstredend, ohne bisher explizit darauf hingewiesen zu haben kommt hier Gerichten und Jugendämtern gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlichen Aufträgen, Verantwortung zu und Sie erlauben hier etwas poentiert zu sein; klare aber auch tragfähige Verhältnisse in Situationen zu schaffen, in denen Familien nicht mehr aus eigener Kraft in der Lage oder bereit sind, den Alltag für sich und ihre Kinder zu meistern.


Kindeswille ist nicht Kindeswille und Kindeswohl noch lange nicht

Meinen wir das Gleiche, wenn wir über den Willen eines Kindes und sein Wohl sprechen?

Zunächst sei die These erlaubt, dass jedes System der Erledigung eines eigenständigen (gesetzlichen und fachlichen) Auftrages nachgeht und somit auch sein eigenes Verständnis, sein eigenes Konzept und seine eigene Sprache entwickelt.

Es ist also davon auszugehen, dass Jugendämter und Gerichte, um im Sprachgebrauch des Titels meines Vortrages zu bleiben, Kindeswohl und Kindeswille ansprechen, aber diesen vom Bedeutungsgehalt her verschieden interpretieren bzw. unterschiedlich ausfüllen.


Die (sozial-)pädagogische Perspektive

In der (Sozial-)Pädagogik wird z.B. das Interesse (eines Kindes) als eine andauernde Verfassung beschrieben, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit bzw. aktiven Teilhabe und zum Handeln veranlassen. Der Entwicklung von Interessen wird deshalb z. B. im Rahmen der Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII bei der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung besondere Bedeutung beigemessen, da sie als zentrales Moment der Persönlichkeitsentwicklung verstanden wird. In diesem Sinne stehen unter (sozial-) pädagogischer Fokussierung Interessen von Kindern und deren Entwicklung für einen Prozess der Erkenntnisgewinnung und Teilhabe, der als Teil des Lern- und Sozialisationsprozesses von Kindern beschrieben werden kann. Dies bedeutet verkürzt, dass Kinder gemäß ihrer Alltagserfahrungen und der Möglichkeiten zu deren Verarbeitung mehr oder weniger in der Lage sein werden eigene Interessen zu entwickeln, zu artikulieren und diese auch zunehmend selbst zu vertreten. Dies erfordert u.a., dass Kinder die Möglichkeit erhalten, am Modell „Alltag“ entsprechende Erfahrungen zu sammeln und angemessen dabei begleitet zu werden. Diese Funktionen erfüllt zunächst grundsätzlich die Familie.

Macht es sich auf Grund einer Mangelsituation erforderlich auf Angebote der Jugendhilfe zurückzugreifen kann davon ausgegangen werden, dass Familie entweder nicht mehr bereit bzw. nicht mehr in der Lage ist, diese Funktionen wahrzunehmen. Eine solche Situation der eingeschränkten bzw. fehlenden Interessenvertretung der Kinder ist z.B. bei Trennung und Scheidung, psychischer Krankheit, einer salopp bezeichneten „Erziehungsuntüchtigkeit“ oder bei fehlender Erziehungsbereitschaft potentiell gegeben. Hier wirkt Jugendhilfe auftragsgemäß familienergänzend bzw. familienersetzend.

Da das Wörterbuch der Sozialen Arbeit darauf verzichtet, sich dem Interessenbegriff zuzuwenden lassen Sie mich auf eine Definition des Erziehungswissenschaftlers Roth verweisen.

Die Interessen sind zu verstehen als das Ergebnis von Erfahrungen des eigenen Begehrens und Wollens. Roth meint damit den unmittelbaren Zusammenhang zu den Bedürfnissen, die sich gemäß des Wert- und Sacherlebens in uns (ab-)gebildet haben. In diesem Sinne sind Interessen Bereitschaften zum Handeln, die sich zwischen äußeren Pflichten und inneren Bedürfnis aufbauen und eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst erzeugen. Nennen wir es an dieser Stelle illustrativ Neugier und Tatendrang.

In diesem Sinne ist der Auftrag der Jugendämter Kinder in besonderen Lebenslagen schützend zu beraten und zu begleiten, um ganz grundsätzlich deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Welt (der Erwachsenen) und sich selbst wach zu halten oder in der Praxis der Jugendämter und Gerichte deren Interessenvertretung wachsam zu gewährleisten.


Die rechtliche Perspektive

Zunächst nimmt die sozialpädagogische Fachkraft wahr, dass der Interessenbegriff in Bezug auf die jungen Menschen im Rechtskontext eine feste Größe darstellt und sich im Zusammenhang mit der Personensorge, der gesetzlichen Vertretung, der vermögensrechtlichen Sorge oder das Unterhaltsrecht als Verhältnis der Personensorgeberechtigten zum jungen Menschen darstellt. Jedoch ist auch im gleichen Zuge zu erfahren, dass es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der im Ermessen des Einzelfalles rechtlich auszugestalten ist. Hiermit ist die sozialpädagogische Fachkraft zwar traditionell und strukturell zunächst unzufrieden aber über die Praxis der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII durchaus geübt.

Ich möchte zunächst die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) bemühen, um die Begriffe Kindeswohl und Kindeswille aus rechtlicher Perspektive zu erschließen.

Im § 52 FGG z.B. ist das Wohl des Kindes in Bezug auf die Gestaltung des Verfahren genannt:

Soweit dies (das Hinwirken auf ein Einvernehmen der Beteiligten) nicht zu einer für das Kindeswohl nachteiligen Verzögerung führt, soll das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn ...

Im § 50b FGG z.B. ist ausdrücklich vom Willen des Kindes in Bezug auf die Gestaltung des Verfahrens die Rede:

Das Gericht hört in einem Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich an, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhaltes angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft.

Der § 50 FGG bestimmt folglich, dass bei erheblichen Interessenkonflikten, die einen faktischen Ausfall der Personensorge nach sich ziehen, diese durch die Einsetzung eines Verfahrenspflegers auszugleichen ist, der insbesondere mit dem Mandat der Vertretung des Wohl des Kindes und der Wahrung der Interessen des Kindes im gerichtlichen Verfahren betraut ist und so, wenn auch rechtlich dem Kind ohne Einschränkung der elterlichen Sorge „lediglich“ zur Seite gestellt, faktisch familienersetzende zumindest aber familienergänzende Funktionen der Personensorgeberechtigten aus der Perspektive der Gerichte realisiert.

Das Gericht kann dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.

Damit stellt der Gesetzgeber die Kindesinteressen über die Interessen anderer am Verfahren Beteiligter, was soviel bedeutet: Im Zweifel für die Interessen des Kindes.

Überführen wir diesen Gedankengang, der uns in Bezug auf § 52 FGG vom Kindeswohl vorbei an § 50b FGG zum Willen des Kindes und abschließend zu § 50 FGG zu den Interessen des minderjährigen Kindes führt strukturell zusammen, so wird deutlich, dass der zentrale Begriff hier das Kindesinteresse darstellt über den Aspekte des Wohls und des Willens eines Kindes im Verfahren zusammengeführt eingebracht werden sollen.

Eine Frage, die sich aus der Perspektive der Jugendämter stellt ist und dies vielleicht auch aus der nichterfüllten Hoffnung heraus, die im SGB VIII rechtunbestimmte Begriffsbestimmung zu Kindeswohl und Kindeswille mit Hilfe der „Justiz“ aufzulösen zu können:

Warum wird im Rahmen der Verfahrensvorschriften des FGG eine eindeutige Begriffsbestimmung vermieden?

Die (sozial-)pädagogische Lesart dieses Umstandes wäre, dass der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Kinder und in der Absicht grundsätzlich einvernehmliche Urteile zu erreichen hier absichtsvoll eine eindeutige Bestimmung vermieden hat, um in einem mit den beteiligten Eltern und Kindern sowie mit der zur Zusammenarbeit verpflichteten Jugendhilfe in einem eher dialogischen Verfahren Urteile zu fällen, die als konsensfähig insbesondere durch beide Elternteile getragen werden und so am weitesten dem Kindeswohl und dem Kindeswille entsprechen.


Perspektive eines Dialogs

Die beispielhaft beschriebenen strukturell-rechtlichen Rahmenbedingungen der Praxis der Jugendämter und Gerichte unter dem Fokus der Ausbalancierung des Kindeswohls und des Kindeswillen gegeneinander und zu den Interessen der Personensorgeberechtigten illustrieren in Ansätzen die Schwierigkeit beiden Aspekten gleichermaßen angemessen gerecht zu werden.

Zu verschieden sind die gesetzlichen Aufträge, zu unterschiedlich ist das professionelle Selbstverständnis, zu ungleich stellt sich die „Machtverteilung“ dar, dass eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zunächst unmöglich erscheint.

Und dennoch möchte ich behaupten, dass gerade wegen dieser Unterschiedlichkeiten eine gelingende Kooperation im Sinne der Wahrung von Kindeswohl und Kindeswille wahrscheinlich ist.

Denn eigentlich:

* sind die Aufträge, wenn auch verschieden klar,
* sollt das professionelle Selbstverständnis zu einer in der Praxis notwendigen Rollenklärung bzw. Klarheit beitragen und
* sollte die rechtliche bestimmte „Machtverteilung“ eher Handlungssicherheit zur Folge haben,

wenn gesichert ist, dass:

* die eigenen Aufträge klar sind und in kritischen Situationen dadurch Rückbesinnung möglich ist,
* das professionelle Selbstverständnis der jeweils anderen Seite anerkannt wird und kompetentes Handeln nach sich zieht
* die „Machtverhältnisse“ eher als Verantwortung und Kompetenzverteilung verstanden, ausgestaltet und erlebt werden.

In diesem Sinne könnte sich ein Dialog zwischen Jugendamt und Gericht auszeichnen durch das Einvernehmen darüber, dass:

* die Kindesvertretung unabhängig auf wessen Veranlassung grundsätzlich parteilich zum Nutzen des Kindes handelt,
* zeitliche Verzögerungen, unabhängig durch wen bzw. durch was auch verursacht dem kindlichen Bedürfnis nach Sicherheit entgegenstehen,
* zeitliche Verzögerungen, unabhängig durch wen bzw. durch was auch verursacht notwendige Maßnahmen zum Schutz des Kindes verzögern,
* kindliche Interessen immer geprägt sind durch Motive und Emotionen, die jenseits des aktuellen Verfahrens liegen,
* Kindeswohl und Kindeswille aus der Perspektive des Kindes selbst grundsätzlich und nicht vorsätzlich im Widerspruch zueinander stehen können,
* die Verständigung zu Interessen bzw. zum Wille des Kind durch die entwicklungsbedingte Differenz zwischen kindlicher und erwachsener Erlebens-, Verarbeitens- und Kommunikationsweise erschwert wird,
* das, was Kinder mitteilen nicht unbedingt mit dem in Übereinstimmung stehen muss, was nicht mitzuteilen wünscht oder sogar wagt,
* Kinder ob ihrer entwicklungsbedingten Reflektionsmöglichkeiten bestimmte scheinbar ersichtliche Interessen nicht erschließen können und demzufolge einer stellvertretenden äußeren Deutung bedürfen,

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